Gerd Kommer und Christian Thiel im Gespräch

Gerd Kommer und Christian Thiel 

„Die Renditen der letzten Jahre sind langfristig nicht wiederholbar“

Christian Thiel

Christian Thiel

29. November 2022
Im Gespräch mit der Kleinen Finanzzeitung erklärt Dr. Gerd Kommer warum in den kommenden Jahren niedrigere Renditen zu erwarten sind und weshalb Aktien trotzdem langfristig die beste Wahl sind und wie die Zukunft des Bitcoin aussehen könnte.

Christian Thiel: Wir beide haben uns in London im Juni 2016 kennengelernt, kurz vor dem Brexit-Votum der Briten. Ich weiß noch wie du damals gesagt hast, dass die Overperformance in meinem Depot auch reines Glück sein kann.

Gerd Kommer: Das ist oft so. Oft ist es tatsächlich Glück.

Nun habe ich seit 2016 eine Overperformance. Natürlich bin ich stolz darauf. Aber ich muss schon sagen: Die letzten zwei Jahre waren schwierig für mich und meine Aktien. Man wird sehen, ob ich jetzt dauerhaft dem MSCI World hinterherlaufe – das kann ja auch passieren. Dann werde ich in ETFs umschichten. Das habe ich so angekündigt. Oder wir haben gerade eine Börsenphase, in der meine Aktien nicht so gut laufen.

Tröste dich – Ausrufezeichen – niemand, auch nicht Gerd Kommer, Ray Dalio oder Warren Buffett, niemand kann und wird eine Benchmark wie den MSCI World in jedem Kalenderjahr oder in jedem Drei-Jahres-Zeitfenster immer schlagen. Das ist unmöglich und das ist auch kein realistisches Ziel. Dass du als tech-lastiger Investor von den Rücksetzern der letzten Monate im Tech-Bereich besonders betroffen bist, das ist ja nicht überraschend.

Du hast ein neues Buch geschrieben, natürlich wieder zu ETFs. Du bist in meinen Augen derjenige, der in Deutschland im Alleingang den ETF populär gemacht hat, wenn man überhaupt von populär sprechen darf, denn nach wie vor sind ja viele Menschen in Deutschland sehr skeptisch, wenn es um Aktien geht. Die erste Frage wäre deshalb. Warum eigentlich Aktien? Was ist dein Hauptargument für Aktien?

Die Anlageklasse Aktien ist die rentabelste Anlageklasse unter allen für Privatanleger verfügbaren Anlageformen. Es gibt Anleihen bzw. zinstragende Investments. Es gibt zweitens als Alternative zu Aktien noch Immobilien. Aktien sind auf lange Sicht eindeutig rentabler als Anleihen und rentabler als Immobilien. Nebenbei bemerkt: Sie sind auch sehr viel pflegeleichter als Direktanlagen in Immobilien.

„Günstige Zeiträume für eine Anlageklasse herauszupicken ist keine vernünftige Analysebasis, sondern Kindergarten-Investing.“

Da muss ich jetzt aber etwas ironisch widersprechen. Das weiß doch derzeit jeder, dass Immobilien das allerbeste sind. Du musst doch nur die letzten Jahre nehmen, dann siehst du doch, was für hohe Gewinne da zu machen sind. Das sind zweihundert bis dreihundert Prozent bei mir in der Straße in der ich wohne.

Da sind wir beim Thema Rosinenpicken, also den entsprechenden Zeitraum zielgerichtet günstig auszuwählen. Wenn ich das darf, dann kann ich mit Tulpenzwiebeln, Hosenknöpfen, mit Tretrollern, historischen Musikinstrumenten, mit neuseeländischen Ackerflächen, mit bestimmten Kryptowährungen, mit gehebelten Short-ETFs auf den DAX und mit esoterischen Aktien auf kanadische Kleinstminenbetreiber eine phänomenale Outperformance produzieren. Günstige Zeiträume herauszupicken, das ist kindisch. Das ist keine vernünftige Analysebasis, sondern Kindergarten-Investing. Aber so argumentieren manche Immobilienanleger in den letzten Jahren leider sehr gerne.

Was für Immobilien spricht, das ist die Unterstützung durch die Politik. Sie fördert Immobilien ganz anders als Aktien. Wenn ich eine Immobilie kaufe und mit hohem Gewinn verkaufe, dann habe ich gute Chancen, nie auch nur einen Cent Steuern dafür zahlen zu müssen. Davon kann man als Aktionär nur träumen.

Ja, Wohnimmobilien und ganz besonders selbstgenutzte Wohnimmobilien werden in Deutschland und in einigen anderen Ländern, steuerlich sehr stark begünstigt. Ein Land in dem das nicht der Fall ist, das ein faires, vernünftiges, rationales Steuersystem für alle Vermögensanlagen, das ist die Schweiz.

Gerd Kommer

Gerd Kommer 

Du bist sehr stark für die Anlage in ETFs und je länger ich mich mit der Geldanlage beschäftige, desto skeptischer werde ich gegenüber jeder Outperformance durch Einzelwerte. Die allermeisten Menschen, die das versuchen, schaffen es ohnehin nicht. Sie hinken dem Index hinterher. Das Problem bei ETFs ist allerdings die Langeweile. Ich weiß noch, wie du damals in London zu mir gesagt hast, die Anlage von Geld in einen ETF das ist so wie seine Schwester zu küssen oder Farbe beim Trocknen zuzuschauen.

Das letzte trifft es ziemlich gut. Wenn Menschen in Aktien anlegen, dann wollen nach meinem Eindruck viele Einzelaktien – damit was los ist, damit sie mit dem Investment eine Story verknüpfen können. Dieser Entertainment-Charakter ist vielen Menschen wichtig. Und auch, dass sie sich mit ihren Investments identifizieren wollen. Wenn ich ein iPhone habe und mir eine Apple-Aktie kaufe, das ist in gewisser Weise ein emotionales Erlebnis. Ich benutze das Produkt. Und dann habe ich auch noch die Aktie dazu.

„Passiv anzulegen mit ETFs ist nicht besonders sexy.“
Das ist natürlich bei einem ETF ganz anders. Ein ETF ist ein anonymes und abstraktes Anlageprodukt. Man kann da keine Geschichten drum herum weben. Ein bisschen ändert und verkehrt sich dieses Phänomen allerdings in den Phasen, in denen der Markt dauerhaft nach unten geht. Dann führen Einzelaktien auch zu mehr Stress und gelegentlich Abneigung. Aber im Allgemeinen hast du Recht: Passiv anzulegen mit ETFs ist nicht besonders sexy.

Kann aber sehr hohe Gewinne bringen. Auf Sicht von zehn Jahren sind wir beim MSCI World als ETF in Euro und inklusive Dividenden bei 11,4% Rendite pro Jahr. Das ist eine extrem hohe Zahl. Das kann doch nicht so bleiben. Ist damit zu rechnen, dass die nächsten zehn Jahre deutlich niedrigere Zahlen bringen werden?

Ja, das ist in meinen Augen nicht abwegig. Die letzten zehn bis zwölf Jahre, also der Zeitraum ab 2009 brachte phänomenal hohe Renditen für fast jedes Teilsegment des globalen Aktienmarktes. Hinzu kommt, dass die Inflation in diesen zwölf Jahren im historischen Vergleich besonders niedrig war, jedenfalls für den Gesamtzeitraum. Wenn wir uns also die Realrenditen anschauen, dann ist die Abweichung zum langfristigen Mittel, die du hervorgehoben hast, sogar noch stärker.

„Der globale Aktienmarkt hat in den letzten 120 Jahren zwischen fünf und sechs Prozent Rendite gebracht – nach Inflation.“

Man muss jetzt nur 1,5 Prozent aus den genannten Zahlen herausrechne. Mehr Inflation gab es nicht in diesem Zeitraum. Das laufende Jahr habe ich dabei nicht berücksichtigt. Damit kommen wir beim MSCI World auf eine Realrendite, also die Rendite nach Abzug der Inflation, von fast 10 Prozent. Ich sage es noch einmal: Das kann so nicht weitergehen.

Absolut. Wenn man sich die letzten 120 Jahre für den weltweiten Aktienmarkt anschaut, dann hat der globale Aktienmarkt irgendwo so zwischen fünf und sechs Prozent gebracht – nach Inflation. Das ist gleichzeitig die höchste Rendite aller Assetklassen über diesen Zeitraum gewesen. Es ist höher als Anleihen, höher als Immobilien, höher als Gold, höher als Rohstoffe.

Reale Renditen pro Jahr von 1900 bis 2021
(Total Returns inkl. etwaiger Ausschüttungen, ohne Kosten und Steuern)

Fünf bis sechs Prozent pro Jahr als reale Rendite – das ist das, was man auf sehr lange Sicht von der rentabelsten Assetklasse der Welt erwarten kann. Und wenn wir in den letzten zwölf oder dreizehn Jahren fast das Doppelte hatten, wie du gerade vorgerechnet hast, dann ist das in der Form langfristig nicht wiederholbar.

Wenn man sich vergegenwärtig, dass die Weltwirtschaft in den letzten 120 Jahren real mit rund 3% p.a. gewachsen ist – pro Kopf nur etwa die Hälfte – dann sollten diese Größenordnungen eigentlich überhaupt nicht überraschend sein, denn nur aus dieser Weltwirtschaft, aus nichts anderem, kann sich die Rendite von Vermögensanlagen über alle Anlageklassen hinweg speisen.

Bei einer nominalen Rendite von 5-7% per annum in den nächsten zehn Jahren und einer deutlich höheren Inflation als in den letzten zehn Jahren, erwartet uns möglicherweise eine reale Rendite von nur noch 2-4%. Ich habe das in der Facebook-Börsengruppe der Kleinen Finanzzeitung neulich mal geschrieben. Einige Mitglieder waren von den Zahlen regelrecht entsetzt.

Parallel las ich gerade das schöne Zitat von Walter Bagehot, der lange Jahre den britischen Economist herausgegeben hat. Bagehot hat schon 1852 gesagt, dass John Bull, damit ist der gutsituierte englische Anleger gemeint, John Bull kann eine Menge aushalten, aber was er nicht aushalten kann – das sind zwei Prozent. Eher würde er sein Geld in einen Kanalbau nach Kamtschatka anlegen. In irgendwas völlig Unmögliches oder Abstruses also. Viele Menschen können so niedrige Renditen nur sehr schwer aushalten.

Völlig richtig. Die allermeisten Menschen, die bewusst als Privatanleger wahrnehmen, brauchen für die Stabilität ihres Weltbildes ein Renditeziel, das mindestens hoch einstellig, besser zweistellig ist. Wenn ihnen irgend ein Quacksalber das verspricht, dann lassen sie sich auf den schlimmsten denkbaren Quatsch ein. Geschlossene Fonds in Deutschland sind ein Beispiel.

Letzter Punkt: Der Bitcoin. Ich gehöre zu den Bitcoin-Skeptikern. Wie siehst du das?

Ich bin ebenfalls ein bekennender Krypto-Skeptiker. Die Funktionen die eine Währung haben soll – Zahlungsmittel zu sein und Wertspeicherfunktion und Recheneinheit – die erfüllt der Bitcoin nicht. Besonders gut sieht man es an der Zahlungsmittelfunktion. Sie liegt beim Bitcoin im subatomaren Bereich. Einen Wert aufzubewahren ist mit dem Bitcoin auch schwer, dazu ist sein Preis viel zu volatil.

„Mit einem MSCI All Country World ETF kann man in aller Ruhe anfangen – zum Beispiel mit einem Sparplan.“
Die endgültige Entscheidung was aus dem Bitcoin wird, steht aber derzeit noch aus. Den Bitcoin gibt es erst seit 13 Jahren. Das ist sehr, sehr kurz. In meinen Augen steht aber fest: Die westlichen Staaten und Regierungen werden nicht zulassen, dass ihnen eins von den zwei Hauptinstrumenten der Wirtschaftspolitik und damit auch Sozialpolitik aus der Hand genommen wird. Ein Instrument ist die Fiskalpolitik, das was der Staat ausgibt. Das zweite ist die Geldpolitik, in dem der Staat das Zinsniveau und die Inflation beeinflusst. Freie Währungen, auf die der Staat keinen Einfluss hat, würden dem Staat die geldpolitische Kompetenz wegnehmen. Das wird meines Erachtens nicht kommen. Weil Kryptowährungen bisher volkswirtschaftlich bedeutungslos waren und weil sie aus einer staatlichen Beobachterperspektive interessant sind, hat man sie bis dato toleriert.

Zum Abschluss wollte ich dich noch nach deinem Tipp für all diejenigen fragen, die es sich einfach machen wollen. Ich habe gestern in der Kleinen Finanzzeitung gelesen, dass ein Mitglied dich in einem Café in München bei einem YouTube-Interview gesehen hat. Und dein Tipp sei gewesen, den MSCI All Country Index zu kaufen.

Ja. Der MSCI All Country World Index, abgekürzt MSCI AWCI oder ACWI IMI ist noch ein bisschen breiter aufgestellt als der MSCI World. Damit kann man in aller Ruhe anfangen – zum Beispiel mit einem Sparplan auf diesen ETF.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch mit Dr. Gerd Kommer gibt es in längerer Form auch als Podcast. Du findest es hier:

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