Was hält Finanzwesir von Bitcoin

Was hält der Finanzwesir vom Bitcoin-Hype?

Christian Thiel

Albert Warnecke

29. November 2022

Im Februar 2021 kletterte der Bitcoin auf Kurswerte jenseits der 50.000 Euro. Ein Leser des Finanzwesirs Albert Warnecke fragte ihn deshalb, wie er zum Hype um den Kryptocoin steht. In einem nach wie vor lesenswerten Beitrag erklärt er, warum Kleinanleger von Kryptos die Finger lassen sollten. Wir haben einige Zahlen im Text aktualisiert, wodurch sich zeigt: Die Geschichte gibt dem Finanzwesir recht.

Leser Q. und sein Bruder möchten wissen:

Was denken Sie über den jetzigen Bitcoin-Hype? Wenn Leute - teilweise gehebelt - in ein Asset wie den Bitcoin "investieren".

Frau Lagarde scheint nicht gut zu sprechen auf den Bitcoin und wir würden mit einem Verbot in Zukunft rechnen.

Der Finanzwesir antwortet

Q und sein Bruder haben das Wort investieren schon in Anführungszeichen gesetzt, ich würde gerne das Wort Asset ebenfalls in Anführungszeichen setzen. Meine Definition von investieren und Asset sind:

  • Asset: Etwas, das Einkommen produziert
  • investieren: Erwerb von Assets

Für mich stehen Cryptocoins auf einer Stufe mit Beanie Babys. In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden diese Stofffetzen vor allem von Frauen hysterisch gesammelt. Es gab Kataloge, Messen, die ganze Infrastruktur, die Sammler eben brauchen, und die Preise stiegen ins Unermessliche. Die Firma gibt es immer noch. Darf ich Ihnen Lana, das pinke gehörnte Lama aus der aktuellen Kollektion vorstellen?

Für alle, die es genauer wissen wollen, hat der History-Channel die Beanie-Hysterie der 90er Jahre zusammengefasst.

"Divorced couples fought over their Beanie Baby assets. Some families sank their entire life savings into acquiring the rarest examples, hoping to fund retirements and put kids through college."

Und da ist es wieder das A-Wort: Aber, mit Plastikschrott gefüllte Stoffsäckchen sind keine Assets!

Dann kam das Ende

"Treasured collections were relegated to hospital-donation boxes."

So lief es in den USA. Wir hatten das in kleinerem Maße mit Telefonkarten. Ich vermute, dass die Mehrheit der Leser gar nicht mehr weiß, was Telefonkarten sind. Belassen wir es dabei.

Dann um die Jahrtausendwende die Dotcom-Krise. Auch hier haufenweise leere Versprechungen, die nach einem Höhenflug verpufften.

Ein prominentes Beispiel: Flooz.com

Flooz war eine Online-Währung, die von Whoopi Goldberg als Alternative zur Kreditkarte promotet wurde. Während Kreditkarten auf dieses gruselige Fiat-Geld (also so Zeugs wie US-Dollar oder Euro) setzen, war Flooz einfach nur Flooz. Man kaufte Flooz und konnte dafür dann beispielsweise bei Delta Airlines einen Sitz im Flug von New York nach Los Angeles eintauschen. Oder man hat - wie altmodisch - seine Kreditkarte auf den Tisch des Hauses gelegt.

Das war vielleicht einer der Gründe, warum Flooz keine zwei Jahre durchgehalten hat. Im Sommer 2001 war der Laden bankrott. Ja, ja, ich weiß, Flooz war blockchainfrei. Bitcoin hat eine Blockchain und das macht natürlich alles anders. Kann man gar nicht vergleichen!

Ich halte mich lieber an den Spruch des alten Kostolany:

"Die ganze Börse hängt nur davon ab, ob es mehr Idioten als Aktien gibt oder mehr Aktien als Idioten."

Was haben wir?

Erstens: Zu viele Idioten

Einen Haufen Leute, die den ersten Fomo-Craze ihres Lebens erleben.

Fomo = Fear of missing out; das ist englisch für: "Voll der Lemming-Scheiß"

Gerd Kommer und Christian Thiel im Gespräch

Beanie Babys, Telefonkarten und Dotcom, das war alles Mitte bis Ende der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Das war vor 25 Jahren. Wer heute unter 35 ist, hat das alles nicht bewusst mitbekommen. Diese Leute müssen sich erst einmal an Cryptos, Lego-Sets und anderem Sammlerquatsch gründlich die Finger verbrennen.

Zweitens: Zu viel Geld im Markt

Gastronomie, Einzelhandel und Tourismus geht es wirklich schlecht. Aber eine Menge Leute sitzen mit einem ganz netten Kurzarbeitergeld zu Hause und können nichts ausgeben. In vielen Branchen läuft es besser denn je. Ich habe in meinem Bekanntenkreis viele Leute, für die umsatzmäßig 2020 "das beste Jahr ever" war.

Und was den Tourismus angeht: Die Websites der norddeutschen Ferienhausvermieter sind so beschissen wie eh und je. Die kriegen ihre Strandperle auch so voll. Und zwar ohne irgendwelche Corona-Rabatte. Ich denke, auch bei den betroffenen Branchen muss man genau hinschauen. Da wird es - mit Ausnahme der Eventbranche - auch große Unterschiede geben.

Drittens: Zu viel Langeweile

Ausgehen ist ja nicht mehr. Irgendwann mag man auch nicht mehr spazieren gehen. Netflix wird auch irgendwann öde. Also macht man sich sein Entertainment selbst und daddelt an der Börse. Versuchen Sie mal, einen Termin beim Video-Ident zu bekommen.

Viertens: Zu geringe Kosten

Was der Crypto-Bison für den Coin-Dealer ist, sind die Neobroker für den Aktien- und Options-Fan: Die perfekte Einstiegsdroge. Eine preiswerte Möglichkeit, mit kleinen Summen mal loszulegen. Und dann passiert das Schlimmstmögliche: Man hat Erfolg. Und noch mehr Erfolg. Und bald hält man sich für den GröTaz, den größten Trader aller Zeiten. Dabei ist man nur Teil der Tide, die alle Boote hebt.

Fünftens: Nur positive Nachrichten

Elon Musk legt 1,5 Milliarden US-Dollar in Bitcoin an und bewirbt einen obskuren HundeCoin auf Twitter, dessen Kurs daraufhin um 2.000 % nach oben springt. (Und der fast wieder genauso schnell nach unten gefallen ist)

Verlauf Dogecoin

Quelle

Oder der Fall MicroStrategy (Nasdaq-Kürzel: MSTR)

Verlauf Microstrategy

Quelle

Die Firma hat weltweit 2.121 Mitarbeiter und einen Umsatz von knapp über 500 Millionen US-Dollar. MicroStrategy bietet Software für Geschäftskunden an (Business-Intelligence, Reportgeneratoren).

Soweit so unspektakulär.

Im Sommer 2020 hat sich die Firma ein zweites Standbein aufgebaut: Sie kauft Bitcoin auf. Bis jetzt für 4 Milliarden. Zu Beginn der Bitcoin-Strategie hat MicroStrategy zusätzlich eine Anleihe aufgelegt, mit der sie 600 Millionen Dollar einnehmen und dafür dann noch mehr Bitcoin kaufen wollte.

Die Anleger haben es Microstrategy fürstlich gedankt. Jahrelang dümpelte der Kurs bei 140 Dollar herum. Im Februar 2021 kostete eine Microstrategy-Aktie 963,72 Dollar.

Machen wir ein bisschen Überschlags-Mathe mit den Zahlen vom Februar des vergangenen Jahres:

  • Bitcoin-Kurs: 55.000 $
  • Einnahmen durch die Anleihe: 600 Millionen $

Für 600 Millionen Dollar bekomme ich 10.909 Bitcoin

Altbestand an Bitcoin: 71.000 (das waren die laut Aussage der Firma seit Sommer 2020 gebunkerten Bitcoins)

Neuer Bitcoin-Bestand: 71.000 + 10.909 = 81.909 Bitcoin

  • Umlaufende Aktien: 7,6 Millionen
  • Kurs vor der Bitcoin-Horterei: rund 140 $
  • Kurs nach der Bitcoin-Horterei: 963 $

Wenn ich 81.909 Bitcoins auf 7,6 Millionen Aktien verteile, entfällt auf jede Aktie ein Anteil von 0,011 Bitcoins.

Am Softwaregeschäft hat sich nichts geändert, deshalb sage ich: Der Kurs teilt sich wie folgt auf:

  1. 140 $ für das Software-Geschäft
  2. 823 $ für das neue coole Geschäftsfeld der Bitcoin-Horterei. Kann man das eigentlich noch als Geschäftsmodell bezeichnen oder ist das einfach nur Tulpenzwiebel in digital?

Das bedeutet: Für 823 $ kaufe ich 0,011 Bitcoins.

Der Dreisatz sagt: Wenn ich einen Bitcoin via Microstrategy kaufe, zahle ich dafür rund 76.400 $. Das sind 21.400 $ oder knapp 40 % mehr als der Kurs im Februar 2021.

Und nein, Sie bekommen das Software-Geschäft nicht obendrauf. Das habe ich oben schon mit 140 $ pro Aktie bewertet und abgezogen.

Microstrategy wurde 1989 gegründet und hat die Dotcom-Krise, die Subprime-Krise und die Corona-Krise überstanden. Das spricht in meinen Augen erst einmal für die Firma. Dazu kommt der Sektor: Analyse-Software für Geschäftskunden. Die DNA dieser Firma ist seit 30 Jahren grau, langweilig & berechenbar.

Jetzt kommen die Coin-Paradiesvögel und bügeln alles auf cool um. So etwas bricht jeder Firma das Genick. Die Grauen wollen im vierten Quartal einen soliden Plan fürs nächste Jahr aufstellen, die Coin-Vögel wollen innovativ Amok laufen.

Für mich als Asset-Investor bedeutet das nur eins: Raus, sofort. Ein bewährtes Geschäftsfeld, das 30 Jahre lang Gewinn gemacht hat, wird zugunsten einer irren Zockerei vernachlässigt. Die Bitcoin-Strategie von Microstrategy rächt sich bereits. Der Aktienkurs des Unternehmens nähert sich in den letzten Monaten immer weiter dem Vor-Bitcoin-Niveau an. Aktuell liegt er bei 170 Dollar. Kein Wunder: Die rund 130.000 Bitcoins in der Bilanz von Microstrategy verfügen mit knapp über 16.000 $ pro Stück nur noch über einen Bruchteil ihres Werts, zu dem sie gekauft wurden.

Meine Erfahrung sagt: Wenn die intellektuellen Fähigkeiten der Käufer unter das Dreisatz-Niveau sinken, steigt die Gefahr einer Bison-Stampede. Die Amygdala kann keinen Dreisatz.

Finanzielles Fazit

Der Crypto-Craze wird - wie der Dotcom-Boom - eine ganze Menge Leute ganz schön reich machen. Die meisten werden aber am Ende auf ihren Beanie-Coins sitzen bleiben.

Der Höchstkurs war 93.000 €, dann steht er bei 80.000 €, ich habe bei 70.000 € gekauft, aber 10.000 € pro Coin??? Nicht mit mir. Unter 90.000 verkaufe ich nicht. Und das Crypto-Radar der Bison-App steht stimmungsmäßig auf "soso lala"…

Mittlerweile ist der Kurs bei 65.000 €. Ich verkauf nicht. Alles nur Buchverluste. Geht schon wieder.

Kurs 40.000 € - wo bleibt die Armee Wenck?

Kurs 5.000 € - Kapitulation. Glück im Unglück: Nur das Geld ist weg. Unglück deluxe: "Du Arsch hast unser gesamtes Kapital verzockt." Tür knallt, im Hinausgehen: "Du hörst von meinem Scheidungsanwalt!"

Unglück deluxe im Quadrat: Gehebelt gezockt - alle beide sind privat-insolvent.

Ungeduld ist ungesund an der Börse

Und der Finanzwesir fühlt sich wie Warren Buffett. Heutzutage ist der alte Herr der Säulenheilige der Finanzbloggerei. Aber zwischen 1995 und 2000 hat der Trottel aus Omaha echt Prügel bezogen. Ein alter Knacker, der sich mit Cherry-Coke betrinkt und keine Ahnung von der neuen Internetwelt hat. Einfach nur peinlich, wie der an diesem analogen Kram festhält. Bis im März 2000 die Blase platzte. Die Erwartungen der Anleger waren riesig

"The Sky is the limit"

Dann kamen die Gewinnwarnungen und es war aus mit der Partyherrlichkeit.

Ich sach’ immer: Lass’ die jungen Leute mal machen. Wenn dann alles in Trümmern liegt, macht sich der Finanzwesir auf die Suche nach den Renditeperlen im Scherbenhaufen.

Ein Legaltech, das mithilfe der Blockchain die ganzen Notare unter die Brücke schickt: Ich bin dabei!

Blockchain ja, Coins: nein.

Und was ist mit Frau Lagarde?

Politik ohne Zugriff auf die Landeswährung funktioniert nicht. Die Zentralbanken sind tragende Säulen der Politik. Kein Politiker wird eine unabhängige Weltwährung akzeptieren.

Letztlich ist jede Währung nur so stark, wie die Zahl der Bajonette, die bereitstehen, um die Ansprüche durchzusetzen.

Warum ist der Dollar nach wie vor die Währung der Welt?

Klar, zum einen, weil die USA eine enorme Wirtschaftskraft haben, und zum anderen, weil die USA die einzige Nation sind, die ihre Luftlandetruppen binnen 24 Stunden an jeden Ort dieser Welt bringen kann.

Wenn die Cryptos zu frech werden, wird die Politik sie schon in ihre Schranken weisen. Da bin ich mir ganz sicher.

Was tun?

  1. Den Kopf schütteln, Crypto links liegen lassen und einfach weiterleben.
  2. Eine unschädliche Summe X nehmen und damit spielen. Wobei ich auch das noch als Spielen bezeichnen würde, was Sie als tollen Plan präsentieren. Die meisten tollen Ideen, mit denen Privatanleger ums Eck kommen, entpuppen sich als Kinderkram.
  3. Momentum-Trading mit einer substanziellen Summe. Die Summe muss substanziell sein (größer 100.000 Euro), sonst lohnt sich der Aufwand nicht. Das Trading-System muss genauso robust sein wie Ihr Nervenkostüm. Sie brauchen sehr klare - und vor allem praxistaugliche - Regeln.
  • Wie monetarisieren Sie Ihre Gewinne? Wann steigen Sie mit welchen Prozenten aus?
  • In Krisen bricht die Liquidität schlagartig zusammen. Wie stellen Sie sicher, dass es einen Käufer gibt, wenn Sie verkaufen wollen?
  • Wie setzen Sie das technisch um? Permanentes 24/7-Monitoring (während du schliefst …), Anbindung an mehrere Börsen (kein Fuchsbau hat nur einen Ausgang) …

Erstens empfehle ich Ihnen, Zweitens kann ich verstehen und Drittens traue ich Ihnen nicht zu.

Vielen Dank an den Finanzwesir Albert Warnecke, dass wir seinen Text für unsere Webseite verwenden durften. Weitere Texte vom Finanzwesir findest du hier.

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