Gerd Kommer und Christian Thiel im Gespräch

Was ist eigentlich eine Lost Decade?

Christian Thiel

Christian Thiel

19. Dezember 2022

Wer in den vergangenen Jahren in die Aktienmärkte investiert hat, war stets von Erfolg verwöhnt. In diesem Jahr haben die Märkte erstmals seit langem wieder rund 10 Prozent verloren. In einem Beitrag aus dem letzten Jahr schreibt Christian Thiel deshalb, warum du deine Lebensplanung kurz- und mittelfristig nicht auf die Aktienmärkte aufbauen solltest. 

Die vergangenen zehn Jahre haben Anlegerinnen und Anlegern enorme Gewinne beschert – wenn sie denn konsequent einfach nur im Markt waren.

Der Dow ist um 10 Prozent pro Jahr gestiegen.

Der S&P 500 sogar um 11 Prozent.

Der absolute Überflieger war in diesem Zeitraum der wegen des Jahrtausend-Crashs am meisten gefürchtete Index. An der Nasdaq stiegen die Kurse Jahr für Jahr um 16,3 Prozent.

Die lost decade ist sehr wahrscheinlich

Das sind historisch sehr hohe Zahlen. Natürlich können auch die nächsten zehn Jahre wiederum so hohe Gewinne mit sich bringen. Aber irgendwann werden wir die nächste längere Krise erleben, die das langjährige Mittel wieder nach unten drückt.

Langjährige Mittel liegen beim Dow und beim S&P 500 bei deutlich niedrigeren 8,3 Prozent (vor Inflation und Steuern) und an der Nasdaq bei 12,2 Prozent.

Dan Caplinger von fool.com hat sich mit dem Phänomen der lost decade beschäftigt. Eine lost decade ist ein Zeitraum von rund 10 Jahren, in dem der Markt den Anlegerinnen und Anlegern eine schwarze Null beschert. Von 1929-1939 war das so (inklusive Dividenden, die seinerzeit extrem hoch waren). Von 1972 bis 1982 folge die nächste lost decade. Und vom Jahr 2000 aus gerechnet bis 2010 sah es wiederum schlecht aus.

Dan Caplinger geht davon aus, dass so ein Zeitraum viele der von den heutigen Gewinnen verwöhnten Anleger aus dem Markt kegeln wird. Ich fürchte das auch. Neulich fragte in der Facebook-Aktiengruppe „Kleine Finanzzeitung“ jemand, ob es nicht sinnvoll sei, sein Haus mit den Gewinnen abzubezahlen, die der Aktienmarkt in den nächsten zehn Jahren macht. Nein. Ist es nicht. Wir kennen die Gewinne der nächsten zehn Jahre nicht. Sie können hoch ausfallen. Sie können aber auch Null betragen. 

Was ist am Markt realistisch?

Vielleicht hilft es ja, wenn du es so siehst: Eine lost decade ist ein sehr wahrscheinliches Ereignis. Es hat sie in den letzten hundert Jahren drei Mal gegeben. Das ist also nicht häufig – aber auch viel zu häufig, um seine Lebensplanung darauf aufzubauen, dass es in den kommenden zehn oder zwanzig Jahren nicht dazu kommen wird. 

Niemand weiß mit Sicherheit, wann wir sie wieder erleben werden. Wer eine lost decade in der Vergangenheit genutzt hat um weiterhin Aktien zu kaufen, der stand am Ende als der große Gewinner da. Wie etwa der Norwegische Staatsfonds, der in der Krise von 2008/09 regelmäßig Aktien gekauft hat. Das gilt heute als ein regelrecht brillianter Schachzug. Das gilt allerdings nur, wenn wir in den Weltaktienmarkt investieren. In einzelne Märkten, wie zum Beispiel in Japan ab 1990 kann das ganz anders ausgehen.

Wer also noch jung ist und erst in vielen Jahren von seinem Geld leben möchte, der kann eine lost decade finanziell wie emotional leichter verkraften. Eine lost decade ist zwar nicht schön, aber immerhin bietet sie die Möglichkeit, günstig Akteien zu kaufen. 

Wie sich eine lost decade auf die Rentenzeit auswirkt

Wer von seinem Geld in einigen Jahren leben will, der kann und darf eine lost decade als Möglichkeit bei seinen Planungen nicht außer Acht lassen. Er sollte zum einen stets und immer alles Geld, das er in den nächsten fünf Jahren braucht, außerhalb des Marktes haben. Das verhindert, dass er zu ungünstigen Zeitpunkten Aktien verkaufen muss. Zudem ist es hilfreich, einen Plan B zu haben für den Fall eines sich über Jahre ziehenden Marktabschwungs. Lässt sich dann der Lebensstandard reduzieren, zum Beispiel indem man Reisen ausfallen lässt? Lassen sich zusätzliche Einnahmen durch Arbeit erzielen?

Besonders schwer trifft eine lost decade diejenigen, die mit ihrem Renteneintritt in sie hineingeraten. Die lost decade verringert ihre Rücklagen so sehr, dass sie in Gefahr laufen, lange vor ihrem Lebensende bereits alles Geld ausgegeben zu haben. Deshalb lohnt bei der Planung der Rente auch ein Blick auf den Markt. Befindet er sich in einem lange anhaltenden Abwärtstrend (wie etwa 2000-2002), dann ist es besser, die Rente zu verschieben. Bis die Kurse wieder gedreht sind.

Mein Fazit

Von 1942 bis 1972 hat es keine lost decade gegeben. Über dreißig Jahre! Gute Phasen können also sehr lange anhalten. Auch das sollte niemand vergessen. Damals waren die Zinsen (anfänglich) sehr niedrig. 

Genauso sinnlos wie es ist, stets und immer von dem nächsten Marktcrash zu phantasieren, genauso blauäugig ist es allerdings, auf einen stets und immer steigenden Markt zu setzen. Die lost decade ist ohne jeden Zweifel das wahrscheinlichste Ereignis, das uns in den nächsten Jahrzehnten irgendwann wieder bevorstehen kann.

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