Gerd Kommer |
Einzelbeispiele astronomischer Wertsteigerungen von Wohnimmobilien lassen viele die Rendite dieser Anlageklasse überschätzen. In Wirklichkeit haben Wohnimmobilien in Deutschland über mehrere Jahrzehnte real an Wert verloren.
Gerd Kommer erklärt, warum so viele denken, Immobilien wären die beste Geldanlage und wer von diesem Irrglauben profitiert. Mithilfe von Zahlen und Fakten zeigt er, dass die teure Luxuswohnung in der Großstadt nicht so rentabel ist, wie sie gern verkauft wird und warum sich die Demographie gegen die Immobilieninvestoren entwickelt.
Für die Wertsteigerungen deutscher Wohnimmobilien war 2022 vermutlich ein Umbruchsjahr. Nach zwölf Jahren starkem Preisauftrieb bis 2021 fielen deutsche Wohnimmobilienpreise 2022 erstmalig wieder: Nominal um 3,6% und real (inflationsbereinigt) sogar um 12,1%.
Die Wende am Wohnimmobilienmarkt hat zwei allseits bekannte Hauptursachen: Der markante Anstieg der Immobilienkreditzinsen ab Anfang 2022 und die inzwischen sehr hohe Bewertung deutscher Wohnimmobilien, verursacht durch den vorangegangenen, über mehr als zehn Jahre anhaltenden Preisanstieg. (Bewertungen lassen sich an der Mietrendite messen oder ihrem Kehrwert, dem „Mietmultiplikator“ sowie an der „Erschwinglichkeitskennzahl“, dem Verhältnis von durchschnittlichen Immobilienpreisen zu durchschnittlichem Einkommen.)
Vor dem Hintergrund der möglichen Trendwende in 2022 wollen wir in diesem Blog-Beitrag einen Blick auf langfristige, nachhaltige Wertsteigerungen im deutschen Wohnimmobilienmarkt werfen. Unser Ziel ist es, (a) herauszufinden, welche Preissteigerungen ein Immobilieninvestor auf lange Sicht erwarten kann, und (b) die wichtigsten Strukturfaktoren zu identifizieren, die die Entwicklung des hiesigen Wohnimmobilienmarktes mittel- und langfristig bestimmen werden.
Die folgende Tabelle zeigt die inflationsbereinigten Wertsteigerungen von Wohnimmobilien in 13 westlichen Ländern von 1970 bis 2022 (53 Jahre). In der Tabelle werden fünf Länder (DE, CH, AT, NL und USA) einzeln hervorgehoben und daneben noch der bevölkerungsgewichtete Durchschnitt für alle 13 Länder gezeigt.
Tabelle: Reale Wertsteigerung von Wohnimmobilien in 13 Ländern, 1970 – 2022 (53 Jahre) sowie maximaler kumulativer Wertverlust
► Ohne Transaktionskosten für Kauf und Verkauf. ► Alle Renditen in lokaler Währung. ► Die deutsche Inflation über diese 53 Jahre betrug 2,8% p.a. ► [A] Für Österreich Daten erst ab 1987 verfügbar. Daher hier kein maximaler kumulativer Verlust ausgewiesen. ► [B] Gewichteter Durchschnitt aus den Ländern DE, CH, AT, NL, USA, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, Schweden, Australien, Japan, Südafrika. Einzelländer gewichtet mit Bevölkerungsanteil an der Gesamtbevölkerung aller 13 Staaten. ► Datenquelle: Bank for International Settlements (BIS) in Basel.
Die folgenden Einsichten lassen sich aus der Tabelle ableiten:
Nachfolgend stellen wir die soeben zusammengefassten historischen Daten in einen erläuternden Kontext, indem wir 14 Fragen rund um die Themen „langfristige Wertsteigerungen von Wohnimmobilien“ und „strukturelle Einflussfaktoren auf Wohnimmobilienpreise“ in knapper Form adressieren.
Die in der Tabelle ausgewiesenen Zahlen dürften die tatsächlichen Wertsteigerungen von Wohnimmobilien sogar noch um etwa einen halben Prozentpunkt pro Jahr nach oben verzerren, weil Qualitätsverbesserungen und Wohnflächenwachstum in den Objekten, die den Indizes zugrunde liegen, im Zeitablauf nicht vollständig herausgefiltert wurden (Dimson u.a. 2018).
Nein. Das glauben viele, lässt sich aber durch Langfristdaten nicht belegen. Wertsteigerungen in Großstädten sind in manchen Jahrfünften oder Jahrzehnten in einem gegebenen Land oder einer Region höher als auf dem Land (wie beispielsweise in der soeben abgelaufenen Dekade in Deutschland), sie sind aber ebenso oft auch niedriger. Dass Immobilienpreise in Großstädten stets merklich höher sind als auf dem Land, bedeutet nicht, dass sie grundsätzlich schneller steigen.
Nein, in den entwickelten Ländern nimmt die „Verstädterung“ sehr langfristig ab. So ist z. B. der Anteil der Bevölkerung, der in großen Metropolen lebt, in den meisten entwickelten Staaten heute niedriger als vor 50 oder 100 Jahren. Lediglich in Entwicklungsländern ist ein dauerhafter Urbanisierungstrend zu beobachten – bis diese Länder eine gewissen Wohlstandsschwelle erreicht haben. Dann endet der strukturelle Urbanisierungstrend auch dort.
Nein, wenn überhaupt ist eher das Gegenteil der Fall. Wer diesem Irrtum anhängt, verwechselt teuer mit rentabel.
Nein. Für jede Immobilie, die sich besser entwickelte als die hier dargestellten Mittelwerte, existiert eine andere, die noch schlechter abschnitt. Die allermeisten einzelnen Objekte bewegen sich preismäßig sehr ähnlich wie der Markt. Weniger als zwei Prozent aller Objekte sind echte Unikate, die sie sich über ein Jahrzehnt oder länger komplett von Markttrends positiv abkoppeln können.
Möglich ja, aber nicht wahrscheinlich. Profis scheinen es jedenfalls nicht systematisch zu können. Man betrachte beispielhaft die schlechte Entwicklung der Aktienkurse der namhaften börsennotierten Immobilienunternehmen in Deutschland in den letzten fünf Jahren (Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG, TAG, Adler und andere). Und zu glauben, dass die Durchführung eines profitablen Immobilienprojektes während der letzten 15 Jahre in Deutschland ein hinreichender Beweis für Kompetenz und Können sei, zeugt selbst nicht eben von kognitiver Kompetenz. In diesen 15 Jahren konnte so gut wie jeder in Deutschland mit Immobilien gut verdienen. Können war dafür keine notwendige Voraussetzung. Genauso wenig wie man Können brauchte, um von 1995 bis 1999 sein Geld mit Aktien zu verdreifachen.
Ja, das sind sie. Sich nur Daten aus – sagen wir – den letzten 20 Jahren anzusehen wäre dumm. In den unmittelbar zurückliegenden zwei Jahrzehnten bestanden für Immobilien in den meisten westlichen Ländern außerordentlich günstige, „unnormale“ makroökonomische Bedingungen. Der bis Ende 2021 anhaltende Zinsrückgang hatte in ähnlich starker und zeitlich ausgedehnter Form in den letzten 100 Jahren niemals zuvor stattgefunden.
Lediglich die Hauspreisdaten vor etwa 1970 könnten unter Umständen heute nicht mehr repräsentativ sein. Vor Ende der 1960er Jahre waren die langfristigen Preissteigerungen von Wohnimmobilien in allen Ländern, für die Daten vorliegen, weit niedriger als von 1970 bis zur Gegenwart. Der Grund für die Erhöhung der Preissteigerungsraten ab Anfang der 1970er Jahre war die Entstehung der globalen Ökologiebewegung zu dieser Zeit. Sie führte zu einer strukturellen Verknappung von Baugenehmigungen und damit zu einem wichtigen preistreibenden Effekt, den es vorher nicht gegeben hatte.
Die vier wichtigsten Faktoren dürften sein: (a) Der weltweit fast einzigartig hohe Grad des Mieterschutzes in Deutschland. (b) Die in Deutschland beispiellos strikten staatlichen Bauvorschriften in Bezug auf Energetik, Brandschutz, Barrierefreiheit und Umweltschutz. Sie führen in Summe zu besonders teurem Bauen. (c) Der im Vergleich zu vielen anderen Ländern umfangreichere und qualitativ hochwertigere soziale Wohnungsbau durch den Staat oder durch Private mit staatlichen Subventionen. (d) Der noch bis in die Nuller Jahre bestehende öffentliche Konsens in Deutschland, die gesetztliche Rente sei als Altersvorsorge hinreichend. Eine solche Auffassung hat es in kaum einem anderen Land gegeben.
Das hat die folgenden Hauptursachen: (a) Die Verwechslung wenig aussagekräftiger nominaler Wertsteigerungen mit wirklich relevanten realen Wertsteigerungen. (b) Die überoptimistische „Immobilienpropaganda“ derjenigen Institutionen, die an Verkauf und Finanzierung von Wohnimmobilien und Dienstleistungen rund um Immobilieninvestments verdienen: Banken, Makler, Bauträger, Immobilienbuchautoren, Anbieter von Kursen zum Investieren in Immobilien. (c) Das Fehlen von täglich sichtbaren, echten Marktpreisen bei Immobilien. Diese sind, anders als Wertpapiere, nicht börsennotiert. Für ein gegebenes Jahr oder Jahrzehnt erlaubt das dem Eigentümer sich fast beliebige Vorstellungen zu Rendite und Stabilität seines Investments zu machen – ohne Reality Check. (d) Bei keiner anderen Anlageklasse sind Emotionen und Fakten so stark miteinander verwoben wie bei Immobilien. Sie sind das einzige Finanzinvestment, das man „anfassen“ kann und auf das sich normative Kategorien wie „Schönheit“ oder „Familienbezug“ anwenden lassen. (Man versuche einmal, sich eine „schöne“ Anleihe, Aktie oder einen „schönen“ Rohstoff-ETF vorzustellen.) Die Vermischung von Emotionen und Tatsachen verhindert jedoch oft die rein faktenbasierte Einschätzung der Realität. (e) Aktuell spielt noch der so genannte Recency Bias („Kürzlichkeitsdenkfehler“) bei Menschen eine Rolle: Der Irrglaube, die jüngere Vergangenheit sei bei Investments besonders repräsentativ und relevant für die Zukunft. Eher das Gegenteil dürfte zutreffen – siehe oben zu Regression zum Mittelwert.
Unwahrscheinlich. Wohnimmobilienmärkte sind nicht international integriert, wie das für Kapitalmärkte der Fall ist. In jedem nationalen Immobilienmarkt gelten eigene Gesetze: Echte Gesetze, ökonomische Gesetze und kulturelle Eigenheiten. Außerdem findet zwischen nationalen Wohnimmobilienmärkten kaum länderübergreifende „Arbitrage“ statt. Ein Londoner, der die Immobilienpreise dort zu hoch findet, wird deswegen trotzdem nichts in Berlin kaufen, wo die Preise vielleicht niedriger sind.
Der Begriff „Wohnungsnot“ ist mehr politscher Kampfbegriff als Realität. Tatsache ist, dass 99,7% aller Menschen hierzulande eine Wohnung haben. Außerdem ist die durchschnittliche Wohnfläche pro Bürger in Deutschland höher als in den allermeisten Staaten des Planeten und diese Wohnfläche pro Einwohner hat sich seit 1950 fast vervierfacht. Auch bei der physischen Qualität des Wohnraums rangiert Deutschland weltweit ganz weit oben.
Diejenigen, die von „zwei Millionen fehlenden Wohnungen“ oder von der Notwendigkeit „mindestens 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen“, fantasieren, belegen fast nie, woraus sie diese Zahlen ableiten. Häufig werden solche Zahlen einfach von irgendwo anders abgeschrieben oder nachgeplappert.
Langfristig und beginnend vielleicht schon in wenigen Jahren wird die Nachfrage nach Wohnraum in Deutschland aufgrund demographischer Faktoren sinken und das Angebot zugleich wachsen. Letzteres sogar ganz ohne Neubautätigkeit, da nämlich die geburtenstarken Jahrgänge – diejenigen, die heute ungefähr zwischen 53 und 67 alt sind – altersbedingt immer weiter steigenden Sterberaten ausgesetzt sind. Diese Jahrgänge bewohnen heute vermögensbedingt überdurchschnittlich große Wohnflächen. Diese Flächen werden dann sukzessive auf den Markt gelangen – am Anfang langsam, dann immer schneller und umfangreicher.
Lesenswerte Einsichten zur „Wohnungsnot“, zur vermeintlich zu geringen Bautätigkeit und zu demographischen Einflussfaktoren auf den Immobilienmarkt hat kürzlich auch der Ökonom Andreas Beck in diesem Interview geäußert.
Nein. Das, was Preise in einem halbwegs funktionierenden Markt primär bestimmt, ist Angebot und mit Kaufkraft unterlegte Nachfrage, nicht jedoch Herstellungskosten. Wenn die Herstellungskosten über dem Gleichgewichtspreis des Marktes liegen, dann steigen nicht die Preise, sondern das Angebot sinkt. Genau das, was wir derzeit im Markt beobachten.
Hier werden wir mit der Benennung des Kreditzinsniveaus als wichtigstem einzelnen Einflussfaktor keinen Leser überraschen. Aktuell liegen die Zinssätze für zehnjährige Zinsbindungen bei knapp 4% pro Jahr. Das entspricht zwar einer Vervierfachung relativ zu den entsprechenden Zinssätzen Ende 2021, ist aber aus zwei Gründen immer noch niedrig und hat einiges Potenzial für einen weiteren Anstieg. Grund Nr. 1: Nach wie vor liegt die Konsumgüterinflation in der Eurozone bei rund 7 Prozent, also weit über dem offiziellen Inflationsziel der EZB von 2 Prozent. Zugleich besteht in der Eurozone ein hoher Beschäftigungsgrad oder sogar Vollbeschäftigung und die Zinsen in den USA und Großbritannien sind deutlich höher als in der Eurozone. Angesichts all dessen wird die EZB vorläufig weiterhin eine restriktive Geldpolitik fahren, die zinserhöhend wirkt. Grund Nr. 2: Die gegenwärtigen Immobilienkreditzinsen sind erst halb so hoch wie der Durchschnitt in den rund 40 Jahren bis 2007. (Nach 2007 begann die EZB und alle anderen westlichen Zentralbanken die kurz- und langfristigen Zinsen in Folge der großen Finanzkrise nach unten zu bugsieren.)
Dass die Bewertungen (wie oben erwähnt) zumindest in großen Städten und attraktiven Lagen immer noch im oberen Bereich liegen, könnte kurz- und mittelfristig ebenfalls negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Immobilienpreisen haben.
Gesamtrenditen von Immobilien sind solche, die alle renditebeeinflussenden Faktoren berücksichtigen: Wertsteigerungen, Nebenkosten von Kauf und Verkauf (einschließlich Grunderwerbsteuer), Instandhaltungskosten, Versicherungskosten, Grundsteuer und Bruttomiete. Bei Immobilien, die partiell kreditfinanziert werden, kommt noch der Kapitaldienst für den Kredit hinzu; ferner Ertragsteuern, soweit eine Steuerpflicht besteht.
Obwohl gerade bei Mietrenditen und Instandhaltungskosten, die weiter als nur ein paar Jahre in die Vergangenheit zurückreichen, ein gravierendes Datenproblem besteht, kann man aus den verfügbaren Daten ableiten, dass die langfristigen Gesamtrenditen von Wohnimmobilien erheblich unterhalb derer von Aktien und etwas über derer langfristiger Staatsanleihen liegen. An diesem Grundsachverhalt ändert auch die Tatsache nichts, dass man Immobilien leichter „hebeln“ (leveragen) kann als andere Investments. Detailliert gehen wir auf Gesamtrenditen von Wohnimmobilien in unserem Blog-Beitrag „Die Rendite von Investments in Immobilien“ ein.
Weitere wirtschaftliche Aspekte von Immobilieninvestments haben wir in den nachfolgend verlinkten früheren Blog-Beiträgen beleuchtet.
Aus einer Selbstnutzerperspektive werden Gesamtrenditen in den vergangenen rund 50 Jahren für Deutschland und anderen Länder im Buch Kaufen oder Mieten von Gerd Kommer präsentiert.
Auf lange Sicht sind die Wertsteigerungen von Wohnimmobilien niedriger als viele Privathaushalte annehmen und als diejenigen propagieren, die an Finanzierung und Verkauf von Immobilien verdienen. Die hohen Preissteigerungen im deutschen Wohnimmobilienmarkt in den 12 Jahren von 2010 bis 2021 waren ein Ausreißer nach oben, eine historische Anomalie.
Das in deutschen Großstädten aktuell immer noch hohe Bewertungsniveau und die Möglichkeit weiterer Nominalzinserhöhungen sprechen tendenziell dafür, dass dieses Immobiliensegment aus einer Käuferperspektive derzeit unattraktiv ist.
Eigentümer von Wohnimmobilien könnten sich fragen, ob sie das aktuell immer noch hohe Preisniveau nutzen, trotz geringer Nachfrage, eine Veräußerung zu versuchen, jedenfalls dann, wenn diese im konkreten Fall steuerfrei möglich ist.
Langfristig wird die Demographie in Deutschland als ein struktureller Gegenwind dämpfend auf die Entwicklung von Wohnimmobilienpreisen wirken. Bereits einige Jahre, bevor diese demographischen Faktoren realökonomisch deutlich zu spüren sein werden, wird der Markt beginnen, sie einzupreisen.
Wir danken Gerd Kommer, dass wir seinen Text für unsere Seite verwenden dürfen. Weitere Texte von Gerd Kommer findest Du hier.