Christian Thiel |
China galt lange als unaufhaltsam wachsende Wirtschaftsmacht. Dass das Land zur globalen Nummer Eins wird, stand laut vielen unmittelbar bevor. Ein vergleichender Blick nach Japan zeigt, dass es nicht so kommen wird.
Um jedes Missverständnis gleich vorneweg auszuräumen: Ich erwarte keinen wirtschaftlichen Abstieg Chinas, zumindest nicht in absoluten Zahlen (wie dem Bruttosozialprodukt pro Kopf). Ich erwarte vielmehr ein sehr viel langsameres Wachstum als in der Vergangenheit, bis hin zur Stagnation. Oder wie Ray Dalio es unlängst ausgedrückt hat: China könnte eine lost decade erleben.
Zudem erwarte ich große Probleme Chinas, sich an das abnehmende Wachstum (oder die Stagnation) anzupassen, so wie auch Japan große Probleme hatte, als sein Wachstumsmodell 1990 endete.
Dieses Ende kam im Fall von Japan sowohl beim Wirtschaftswachstum, als auch am stark überbewerteten Aktienmarkt, als auch beim extrem überbewerteten Immobilienmarkt (Grafik oben). Es zog sich über gut 20 Jahre. Two lost decades.
Um das zu verstehen, lohnt auch ein Blick auf das 45 Jahre anhaltend hohe Wachstum der japanischen Wirtschaft in den Jahren 1945 bis 1990 und auf sein abruptes Ende. Hier kommt ein Blick auf das japanische Bruttosozialprodukt pro Kopf:
Das Ende des starken japanischen Wachstums war geprägt durch:
Vor dem Kollaps seines Wachstumsmodells galt Japan als kommende Weltmacht Nummer Eins. Das führte in den 80er Jahren zu starken Spannungen zwischen Japan und den USA. Insbesondere drohte Japan die USA auch technologisch zu überholen, zum Beispiel im Chipbereich.
Die zunehmende technologische Führung Japans führte in dem Land in den 80er Jahren zu starken nationalistischen Tendenzen – ähnlich wie wir es heute in China erleben. Das beschreibt Chris Miller in seinem Buch Chip War:
“Would Japan, a first-class technological power, be satisfied with second-class military status? If Japans success in DRAM chips was any guide, it was set to overtake the United States in almost every industry that mattered. Why wouldn’t it seek military dominance, too? If so, what could the U.S. do? They saw Japanese domination of semiconductors as evidence of an emerging “Pax Niponica” – an East Asian economic and political bloc led by Japan.”
Das alles klingt für uns im Jahr 2024 sehr vertraut, zumindest wenn wir Japan durch China ersetzen. Gleichzeitig klingt es wie ein Bericht aus einer anderen Welt. Eine Pax Niponica? Nein, aus der wirtschaftlichen und militärischen Dominanz Japans ist nichts geworden. Die anhaltenden wirtschaftlichen Probleme Japans seit dem Crash des Immobilien- und Aktienmarktes im Jahr 1990 machten dem Höhenflug japanischer Selbstüberschätzung (einerseits) und der amerikanischen Angst vor Japan (andererseits) ein Ende. Amerikas Führung blieb unangetastet – vor allem im militärischen Bereich.
Natürlich ließ sich auch Deutschland seinerzeit in puncto Angst nicht lumpen. Deutschlands Niedergang war angesichts der wachsenden Bedeutung Japans (insbesondere bei der Automobilindustrie) eine ausgemachte Sache. Auch das ist heute wieder ganz ähnlich. Was Angst angeht, kann uns niemand etwas vormachen, schon gar nicht die Amerikaner. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel brachte es seinerzeit auf den Punkt.
Auch daraus ist natürlich nichts geworden. Angst ist nun mal kein kluger Ratgeber und kein schlüssiger Hinweis auf das, was die Zukunft wirklich bringt. Europa kam selbstverständlich nicht unter die Räder, sondern ist zu einem der größten globalen Player auf der Weltbühne geworden, mit einer Industrie, die ihre Stärken allerdings eher in konventionellen Industriebranchen hat. Und die USA stiegen statt Japan zur führenden Tech Nation der Welt auf.
Und für alle, die unter German Angst leiden, kommt hier noch ein Blick auf die Entwicklung des Bruttosozialprodukts Japans und Deutschlands in den vergangenen 60 Jahren:
Deutschland hat Japan gerade überholt. Trotz aller Probleme, die es zweifellos gibt.
Chinas Aufstieg
Zurück zu China. Wie Japan auch, hat China ebenfalls rund 45 Jahre mit hohem wirtschaftlichem Wachstum hinter sich. Es erlebt derzeit das Platzen einer gigantischen Immobilienblase. Rund 100 Millionen bereits gebaute Wohnungen stehen leer in chinesischen Großstädten. Viele von ihnen wurden zu Spekulationszwecken und auf Kredit gekauft – weil die Immobilienpreise in China seit Jahrzehnten nur eine Richtung kennen: Nach oben. Viele Wohnungen befinden sich noch im Besitz chinesischer Immobilienkonzerne. Zahlreiche Unternehmen befinden sich in Schieflage oder haben bereits Insolvenz angemeldet.
Gemessen am durchschnittlichen Einkommen sind die Immobilienpreise in chinesischen Großstädten wie Shanghai zwei bis drei Mal so hoch wie in Paris oder New York. China erlebt eine Immobilienblase, wie die USA sie in den Jahren 2000-2007 erlebt haben und Japan in den 80er Jahren.
Was macht Immobilienblasen so gefährlich?
Die Antwort lautet: Ihr Umfang. Rund 70% des Vermögens chinesischer Haushalte befindet sich im Immobilienmarkt. Fallen die Preise dort (und das tun sie) sinkt das Vermögen breiter Bevölkerungskreise. Das führt zu einer abnehmenden Konsumneigung und zu Deflation. China befindet sich jetzt bereits das dritte Quartal in Folge in einer Deflation.
Zudem führt eine Immobilienkrise für manche Anlegerinnen und Anleger auch zum Teil- oder Totalverlust ihres Vermögens, etwa wenn gekaufte Wohnungen unvermietbar oder nie fertiggestellt werden.
Der Aktienmarkt
Der chinesische Aktienmarkt war für mich noch nie wirklich interessant.
Er hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwei heftige Blasen erlebt (2008; 2015). Gleichwohl befindet er sich seit rund 15 Jahren in einer Seitwärtsbewegung.
In den USA ist die Lage deutlich besser. Aufgrund der höheren Sicherheit von Eigentumsrechten, aufgrund einer deutlich freieren Presse (insbesondere der Wirtschaftspresse) waren die USA für mich der bessere Ort, um zu investieren. Ich erwarte in diesem Punkt keine Veränderungen.
Japan hat im Verlauf seines schwierigen Anpassungsprozesses an das heute viel moderatere Wachstum viele Krisen erlebt und viele Regierungswechsel. Ich erwarte für China etwas Vergleichbares. Wie Japan in den 1990er Jahren hat auch China in den letzten 10 Jahren eine sehr nationalistische Phase erlebt. Die wirtschaftliche Krise Chinas und schon gar eine lost decade wird das politische System dort aller Voraussicht nach nicht unberührt lassen.
Der YouTuber ColdFusion hat zum Platzen der chinesischen Immobilienblase bereits ein sehenswertes Video veröffentlicht. Einen Link dazu findest Du hier: