Christian Thiel |
Nach dem Unwetter kommt der Regenbogen. Doch auch er bleibt nicht für immer. Was in der Natur jeder versteht, haben an der Börse einige noch nicht verinnerlicht. Euphorie und Pessimismus wechseln sich immer wieder ab. Im Tief verlässt jedoch viele die Hoffnung und im Hoch werden sie unvorsichtig. Christian Thiel zeigt an aktuellen Beispielen, warum es so schwer sein kann, am Kapitalmarkt die Nerven zu behalten.
Im Herbst 2022 ging es in der Börsenpresse munter los. Da folgte ein Abgesang auf Big-Tech Aktien wie Apple oder Tesla auf den nächsten. Die Aktien fielen zu dem Zeitpunkt. Und eines stand für viele Marktbeobachter fest: 2023 würde für Big-Tech ein schlimmes Jahr werden. Und dann das:
Ja, da stehen rund 57 Prozent Plus für die Aktie von Tesla in den letzten Wochen. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Vom Tief bei 101 Dollar Anfang Januar konnte Tesla zuletzt sogar um gut 100 Prozent steigen. Ich muss gestehen: Einen solchen Anstieg bei einem so großen Unternehmen habe ich in so kurzer Zeit noch nie erlebt. Auch ich war also überrascht.
Und was macht High-Tech?
Etwas anders verlief es bei High-Growth bzw. High-Tech Werten wie Crowdstrike oder DucuSign. Sie fielen im Herbst schon seit 12-18 Monaten, deutlich länger als Big-Tech also. Ihr Schicksal war nach Überzeugung vieler Anlegerinnen und Anleger und mancher Experten besiegelt. Auf sie wartete der ewige Niedergang und/oder die Insolvenz. „Zocker-Aktien“ schrieben manche. Besonders pessimistische Zeitgenossen wählten gleich das Wort „Zombie-Unternehmen“. Und dann das. Seit Anfang Dezember ist DocuSign um rund 50% gestiegen:
Immer wieder erwischt der Markt Anlegerinnen und Anleger auf dem falschen Fuß. Doch warum eigentlich? Weil wir alle dazu neigen, einen Trend innerlich in die Zukunft zu verlängern. Und weil wir alle dazu neigen, uns den Stimmungen anderer Anlegerinnen und Anleger anzuschließen. Menschen sind Herdentiere. Und oft ist das Gegenteil von dem richtig, was die Mehrheit erwartet.
Bei unserem Blick in die Zukunft machen wir alle mehrere typische Fehler. Einige davon will ich heute am Beispiel der heftigen Korrektur der Techwerte in 2022 aufzeigen.
Erster Fehler: Falsche Parallelen
Viele Anlegerinnen und Anleger fühlten sich beim Abstieg der Tech-Werte an die Jahre 2000-2002 erinnert. Dieser Vergleich hinkt, weil damals viele Unternehmen kaum relevante Umsätze hatten. Das war beim Anstieg der Techwerte in den vergangenen Jahren völlig anders. Ob DocuSign, Tesla, Apple oder Crowdstrike – alle Unternehmen konnten in den vergangenen Jahren ihre Umsätze sehr deutlich steigern.
Bei Tesla ging es in den drei Jahren 2020-2022 von 31 Mrd. Dollar Umsatz hinauf bis auf 81 Mrd. Dollar. Das ist ein Plus von 158 Prozent.
Bei Crowdstrike ging es von 481 Mio. Dollar hinauf bis auf 1,4 Mrd. Dollar. Das ist ein Plus von 200 Prozent.
DocuSign konnte die Umsätze von 973 Mio. Dollar auf 2,1 Mrd. Dollar erhöhen. Das ist ein Plus von 116 Prozent.
Und Apple schließlich steigerte den Umsatz von 274 Mrd. Dollar im Jahr auf 394 Mrd. Dollar. Ein Plus von 43 Prozent.
Soweit zu den Umsätzen. Und die Gewinne? Die noch nicht profitablen Tech-Unternehmen wie DocuSign haben mit Kostensenkungen auf den Abverkauf reagiert – viele von ihnen sind dadurch profitabel geworden oder stehen kurz davor, profitabel zu sein. Das war zu erwarten – doch genau diese flexible Reaktion der Unternehmen hatten Anlegerinnen und Anleger nicht auf dem Schirm. Sie haben die Vergangenheit in die Zukunft verlängert. Unternehmen reagieren aber stets und immer auf die sich verändernden Umstände.
Zweiter Fehler: Verlängerung von Trends in die Zukunft
Diesen zweiten Fehler machen Anlegerinnen und Anleger wieder und wieder. Und natürlich machen sie ihn in beide Richtungen, nach oben wie nach unten. Hier kommt der Chart von DocuSign von Sommer 2019 bis zum Sommer 2021. Die Aktie konnte sich in dem Zeitraum versechsfachen.
Unser Gehirn verlängert solche Chart gerne bis in alle Ewigkeit. To the moon? Eher nicht. Starken Übertreibungen nach oben folgen am Markt in der Regel Übertreibungen nach unten. Hier kommt der Kursverlauf von DocuSign in der Korrektur.
DocuSign von November 2021 bis November 2022
Der Aktienkurs steht nun wieder da, wo er auch im Jahr 2019 stand – vor der Pandemie. Der Umsatz hat sich in dem Zeitraum allerdings verdoppelt. Und der Verlust, den das Wachstumsunternehmen noch immer macht, ist drastisch gesunken, von 3 Dollar die Aktie in 2019 auf 0,36 Dollar je Aktie in 2022.
Dritter Grund: Unerfahrenheit
Die Aktien von stark wachsenden Unternehmen haben in der Regel die höchste Volatilität. Man muss das gerade den jungen Anlegern wieder und wieder sagen. Die Regel lautet: Stark steigende Wachstumsunternehmen korrigieren auch stark.
Ein Beispiel? Gerne.
Wer den unglaublichen Gewinn von Monster Beverage in den Jahren 1995 bis 2015 miterleben wollte, der musste mit den extremen Abschwüngen der Aktie in den pessimistischen Phasen leben. Morgan Housel hat das in seinem ikonischen Text „The Agony of High Returns“ sehr schön beschrieben. Die Regel lautet: Expect Volatility.
Wer Monster Beverage von 1995 bis 2015 im Depot hatte, der konnte auf einen Return von 105.000 Prozent zurückblicken. Aus einer Anlage von 10.000 Dollar wurden im Laufe der Zeit 10 Mio. Dollar. Der Preis dafür aber war hoch und ist in der folgenden Grafik gut zu sehen:
Um die enormen Gewinne mit der Aktie zu machen, mussten Anlegerinnen und Anleger zahlreiche Korrekturen durchstehen. Die führten manchmal um 80% nach unten, manchmal ‚nur’ um 70%, gelegentlich um 60% und ziemlich häufig um 40-50%.
2023 wird das Jahr der Tech-Aktien
2022 war in negativer Hinsicht das Jahr der Techaktien. Sie wurden gnadenlos nach unten durchgereicht. Solche Abverkäufe sagen über die Zukunft dieser Unternehmen rein gar nichts. Solche Korrekturen kommen immer und immer wieder vor.
Was wir jetzt erleben, das ist ein ganz normaler Rebound. Die Nasdaq hat in diesem Jahr bereits um 12,6 Prozent zugelegt. Der in der Korrektur heftig eingebrochene ARK Innovation ETF ist in diesem Jahr schon um über 40% gestiegen. Daran ist gut zu sehen: Was am stärksten abverkauft wurde, das steigt nach dem Ende der Korrektur auch wieder am stärksten.
In diesem Jahr erleben wir den Rebound dieser Aktien. Wer in der Korrektur antizyklisch nachgekauft hat, der wird in diesem Jahr überdurchschnittliche Gewinne machen können. 2023 wird, anders als erwartet, ein Jahr der Tech-Aktien.
Doch nach dem Abverkauf ist vor dem Abverkauf. High-Tech Aktien sind nichts für schwache Nerven. Auch Monter Beverage ist das nie gewesen. Wer seine Nerven schonen will, der greift lieber zu einem ETF auf den MSCI World, auf den S&P 500 oder auf die Nasdaq 100.
Lisa Schreiber und Moritz Drews investieren schon lange in Technologie-Aktien. Im Gespräch mit Christian Thiel erklären sie ihre Anlagestrategie. Den Link zum Artikel findest Du hier.